Seetaler Poesiesommer 2023
Oktober
«Wereld»… «eld»: In vielen Sprachen und Rätseln spricht das Meer; Woge um Woge verdichtet sich das Denken wenn am Strand eine züngelnde Welle die in den Sand geschriebene «Welt» zu «Feuer» löscht. So ergibt sich im vagen Spiel der Wellen manch ein Gedicht. – Ort: Strandpaviljoen De Staat, Zuiderstrand 4.
«Eau vuless scriver ün cudesch… L’algord in sias variantas in dependenza dals mumaints.» In einer Arbeitsnotiz äussert der Bildhauer Giuliano Pedretti (1924-2012) den Wunsch, ein Buch zu schreiben: Seine autobiografischen Notizen legen Zeugnis von der sprachlichen Begabung des Künstlers ab und veranschaulichen, was er an einer Stelle als Richtschnur seines Schreibens formulierte, nämlich die Erinnerung in ihren Varianten in der Abhängigkeit der Augenblicke zu fassen. Seine Aufzeichnungen aus dem Jahr 1968 sind noch heute aktuell und lesenswert. – Ort: Atelier Giuliano Pedretti, Via Maistra 36.
«das Wort / ist ein Gold / auf Seegrund / ich tauche nach ihm / gegen den Widerstand / des Auftriebs»: Beatrice Hauenstein (Langnau i.E.) liest aus ihren unveröffentlichten Gedichten. Eine sinnliche, nachdenkliche Stimme spricht aus dieser sorgfältigen Lyrik, die in «Wellenbewegungen» entstanden ist. Nach dem Vorkurs an der Gewerbeschule in Luzern arbeitete die Innerschweizer Autorin als Korrektorin bei der Zeitung Vaterland/LZ/NLZ. – Treffpunkt: Vor der Klosterkirche.
«Se è vero che noi siamo un divenire, / cos’è che ci trasforma, / cos’è che in noi si somma, / che incolla i giorni l’uno all’altro / a farci quello che siamo, / è quand’è che si ferma ogni mutare», beginnt das Gedicht L’irrequietezza (Hegel: Enc. 88) des Lyrikers Vito Taverna (*1929), Gründer des Archivio Nazionale della Poesia inedita di Monterchi und des Convegno Nazionale della Poesia. Es handelt vom Werden und fragt danach, was uns verändere und zu dem mache, was wir sind. Der Bildhauer Venturino Venturi fertigte 1953 ein Bildnis des Dichters Taverna an. Dieses ist im hiesigen Museum ausgestellt. Zur Arbeit des Porträtierens wiederum passen Hegels Gedanken über die Philosophie als «Lehre, den Menschen von einer unendlichen Menge endlicher Zwecke und Absichten zu befreien und ihn dagegen gleichgültig zu machen». – Treffpunkt: Museo Venturino Venturi, Piazza Matteotti 2.
Blättern in einer Künstlerbibliothek. Neben seiner Arbeit als Bildhauer war Giuliano Pedretti ein eminenter Kenner der Engadiner Kultur. Die Gründung des Oberengadiner Kulturarchivs war eine seiner nachhaltigen Initiativen. Inspirierend ist ein Blick in die Büchersammlung des belesenen Künstlers. Adresse: Atelier Giuliano Pedretti, Via Maistra 3.
«Musée imaginaire – Jedem sein Tier»: Die aktuelle Ausstellung der Künstler Martin Gut und Nina Stähli im Kunstraum Hochdorf, kuratiert von Henri Spaeti, steht unter dem Titel homo animalis. In Wettingen hat der Kunsthistoriker Marc Seidel bei seiner Schau Wau! Das Tier als Kunst Erfahrungen über das Tierische in der Kunst gesammelt und teilt diese Gedanken und Visionen im Kunstraum Hochdorf mit. – Adresse: Lavendelweg 8.
«… und bis heute sind unter allen Wundern der Welt wir uns als Menschen immer noch das grösste und das am wenigsten gelöste Rätsel geblieben», konstatierte der bedeutende Schweizer Kunsthistoriker, Museumsleiter und Universitätsprofessor Max Huggler (†1994) anlässlich der Eröffnung einer Giuliano Pedretti-Ausstellung 1975 im Ulmer Museum. Die druckfrische Biografie Ein Leben für die Kunst des Berner Kunsthistorikers Michael Baumgartner bietet überraschende Einsichten in die von Anschauung geprägte Gedankenwelt Max Hugglers. 1933 verantwortete dieser u.a. die grösste Ausstellung zu Lebzeiten von Ernst Ludwig Kirchner. Ort: Hotel Cresta Palace.
«Esser vorrei sol canto / e nulla più. / Parola mormorata al vento / e subito dispersa. / Morir così.», schreibt Plinio Martini (†1979) im Gedicht Aspirazione. Zum 100. Geburtstag des Tessiner Dichters hat Christoph Ferber eine Auswahl von dessen Gedichten übersetzt. Das obige lautet in der Übersetzung mit dem Titel Wunsch so: «Nur Gesang / und nichts anderes sein. / In den Wind gemurmeltes, / sogleich entschwundenes Wort. / So sterben.» Die Verlegerin Irène Bourquin (Caracol Verlag) stellt den Band E in ogni crepa dorme una lucertola – Und in jeder Ritze schläft eine Eidechse vor. Zudem liest sie aus ihrem eigenen lyrischen Werk. – Adresse: Alte Klosterstrasse 1. (SBB-Haltestelle: Baldegg Kloster)
«… Auch wenn man es heftig schlug, unser Eisen / wurde kein Gold: doch heftiger zischt es / heute im Herzen (…) / wie der Wein, wie die Sonne, / die Sanftheit der fügsamen Tage, das Leben / in erhaltenen und verlorenen Dingen, und es reichte uns, / Samstag am Abend, der Tanz und die Heiterkeit / eines beendeten Festes.», schrieb 1964 der Italienischbündner Autor Grytzko Mascioni (†2003) im Gedicht Erinnerungsheft des ausgewanderten Schmieds, das in der Übersetzung von Christoph Ferber (Ragusa) im Band Diaspora des Herzens – Diaspora del cuore, erschienen 2023 in der editionmevinapuorger, auch auf Italienisch nachzulesen ist. Herausgeberin dieser verdienstvollen Lyrikedition ist Mevina Puorger (Ramosch / Zürich). Für ihre uneigennützige verlegerische Arbeit und den Einsatz für die rätoromanische Literatur wird sie mit dem Premio Masciadri 2023 ausgezeichnet. Der von Cornelia Masciadri überreichte Preis wird im Gedenken an Virgilio Masciadri, Aargauer Schriftsteller und Privatdozent für klassische Philologie, seit 2016 alljährlich im Rahmen des Seetaler Poesiesommers im In- oder Ausland verliehen. – Gryztko Mascioni war auch in Schweden, was den Bogen zum Bänkelsänger Carl Michael Bellman schlägt. Bellmann lebte im 18. Jh und ist, wie vom Schauspieler Leif Olsson (Götene) zu erfahren sein wird, in Schweden eine Ikone – so wie der naive Künstler Lim-Johan, um dessen Werk sich Torbjörn Lang (Edsbyn) Verdienste erworben hat und dafür zum Schluss dieses anregenden Kulturnachmittags auf Schloss Hallwyl den Prix Winkelried erhält. Auch das musikalische Programm mit Hansruedi Zeder (Hochdorf) kostet schweizerisch-schwedische Bezüge aus, mit Kompositionen aus beiden Ländern. Vorgängige Schlossführung mit Daniel Humbel (Boniswil) um 13.30 Uhr. – In Zusammenarbeit mit der Historischen Vereinigung Seetal.
«Europawäldli»: Ein Kulturprogramm im Zeichen des internationalen Austauschs. Seit 2014 werden beim ehem. Landessender (heute: KKLB) unter der Ägide des Poesiesommers Bäume für die europäischen Kulturräume gepflanzt: eine Birke für Schweden und eine Eiche für Polen (2014), eine Blutbuche für Belgien und eine Rosskastanie für Frankreich (2015), eine Rottanne für Italien und eine Eiche für Spanien (2016), eine Buche für Dänemark und eine Rotbuche für Liechtenstein (2017), eine Silberweide für Österreich und eine Schwarzpappel für die Niederlande (2018), eine Eibe für Grossbritannien und eine Birke für Finnland (2019), ein Gingko für Deutschland und ein Schlehdorn für Irland (2020), eine Schlangenhautkiefer für Bulgarien und ein Wacholder für Estland (2021), ein Seidelbast für Griechenland und eine Linde für Rumänien (2022). Heuer kommen zu Ehren von Kroatien und Serbien zwei weitere Bäume und ihre Geschichten dazu. Adresse: KKLB, Landessender 1. Die Pflanzung findet am 17. November statt.
Peter Halter Stiftung
Kulturkommission Hochdorf
Vereinigung Pro Heidegg
Historische Vereinigung Seetal