Seetaler Poesiesommer 2023
August
«Es gilt das gesprochene Wort – l’exposé oral fait foi», diese Wendung fängt bei schriftlich niedergelegten Reden die gesprochene Spontaneität auf. Mit dem Talefest bietet Kolding ganz im Geist der alten Volksversammlungen jungen Menschen aus den nordischen Ländern eine Plattform, um das, was ihnen am Herzen liegt, zu artikulieren. Dem Wort als Mittel zum Ideenaustausch und Ausdruck demokratischer Teilhabe kommt auch am Schweizer Nationalfeiertag landein landaus besondere Bedeutung zu. Treffpunkt: Kaerlighedstien.
«J’ai eu peur que ma carte ne fût pas arrivée à vous, parce que nous avons lu dans les journeaux qu’il a été de grandes tremblements de terre à Catania», schreibt Anna E-U. am 8. November 1902 auf einer Ansichtskarte dem Horgner Fabrikanten Adolf Feller, der damals in Catania tätig war. Die Karte zeigt den Stora torget der Bergwerkstadt Falun. Hanspeter Bärtschi, Schweizer Industriearchäologe und Fotograf, dokumentierte die Kupferstadt in Dalarna. Seine Bilder und andere Aufnahmen hat Ulrich Suter in einer Publikation mit dem Titel «Falun» in der Reihe Die Welt lesen mit Fotografien aus dem Bildarchiv der ETH zusammengestellt. – Treffpunkt: Stora torget, Speaker’s corner.
«Un fiore sboccia / nel segreto abbandono / di un giardino / e il tempo lo salva / in un sigillo» – «En blomma slår ut / i trädgårdens hemliga övergivenhet / och tiden räddar den / i ett sigill»: Nicht nur Blumen, wie in diesem Gedicht des italienischen Lyrikers Gabriele Greco (Örnsköldsvik), entfalten sich an der musikalisch-literarischen Soirée in der Salemkyrkan zu Edsbyn, sondern auch subtile Stücke für Clavichord aus verschiedenen Jahrhunderten, die von der Zeit gleichsam als Siegel überliefert sind. Die Stille der Kirche bietet den Musikern Mayumi Kamata (Stockholm) und Hansruedi Zeder (Hochdorf) an ihren Clavichorden einen passenden Resonanzraum. Sandra Hammar (Örnsköldsvik) besorgte zusammen mit dem Autor die schwedische Übersetzung der Gedichte. – Ort: Salemkyrkan. Södergatan 2.
«Mittpunkt»: Der Autor Hans Harlén hat in seinen Büchern Stockholm nicht nur aus allen Perspektiven beschrieben, sondern auch den geografischen Mittelpunkt der Stadt errechnet. Dieser liegt in Traneberg. Dort kann sich der Besucher auf einer Bank niederlassen und über weitere Aspekte der schwedischen Hauptstadt sinnieren. Der Seetaler Poesiesommer unterstützt Begegnungen dieser Art. Ort: Bergsringen, Traneberg (Bromma).
«Forse ci si sente importanti / guardando il tramonto sul mare / perché il riflesso punta sempre / su di te, inesorabilmente» – «Vielleicht fühlt man sich beim Betrachten / des Sonnenuntergangs so wichtig, / weil der Lichtstrahl stets / auf einen zeigt, unentwegt»: Elena Spoerl Vögtli (Lugano) beschreibt in ihren Gedichten, wie der Mensch das Momentane erlebt – und was ihn seit je bewegt. Ihre Lyrik ist greifbar in der zweisprachigen Ausgabe Fenster/Finestre (2014) sowie in den Publikationen Sull’acqua (2016); Bordi (2017); Maschere (2019). – Treffpunkt: vor der Klosterkirche.
«… bis der Tumult der Teile zur Vision wird, die äussere Realität zum inneren Bilde sich klärt.» Der Berner Kunsthistoriker Max Huggler bezeichnete den Bildhauer Giuliano Pedretti als «Menschenbildner, wie sich in der Gegenwart so leicht kein anderer, kein eindrücklicherer finden lässt. » Seine Sicht auf das Werk des Künstlers kann vor Originalen überprüft werden. – Ort: Atelier Giuliano Pedretti, Via Maistra 36.
«Ein seltsamer Strahlenglanz schoss mir da in die Augen, der mich blendete, und ich meinte einen Wasserfall zu sehen und dann etwas Dunkles wie den Umriss der alten Mühle … »: Der Aargauer Lyriker und Privatdozent für klassische Philologie Virgilio Masciadri (1963-2014) stellt im postum erschienenen Roman Lotario sein staunenswertes Erzähltalent und eine überaus lebhafte Phantasie unter Beweis. Die umfassende Belesenheit des Autors und eine intime Kenntnis der antiken Mythen zeichnen dieses hochliterarische Fragment aus. Cornelia Masciadri (Hunzenschwil) präsentiert an der Ruderboot-Lesung auf dem Hallwilersee Auszüge aus der Neuerscheinung. Treffpunkt: Schiffanlegestelle.
«Schloss Hallwyl auf der Spur»: Der schwedische Historiker Gösta Sandell legte bei seinem Besuch vor einigen Jahren im Schloss Hallwyl eine zeichnerische Fährte. Auch Arno Stern, Begründer des «Malorts», betreibt mit Forschungen rund um die organische Erinnerung eine für unsere Zeit relevante Spurensuche. Carmen Suter-Näf (Schongau) stellt zentrale Ansätze und Anliegen des französischen Denkers und pragmatischen Vermittlers vor.
«Sulettamaing da quels eau d’he invilgia, / chi posan dutsch e lam in quaist zardin, / inua da larmas creschan rös› e gilgia / e güst perque uduran uschè fin.» So hebt das Gedicht Sül sunteri des Oberengadiner Juristen und Sprachforschers Zaccaria Pallioppi an. Men Rauch widmet diesem ein ausführliches Kapitel in Homens prominents ed originals dal temp passà und Giuliano Pedretti schuf 2011 eine Inschrifttafel am Wohnhaus des 1873 verstorbenen Philologen. Pallioppis Gedichte und sein sprachwissenschaftliches Werk bleiben zu entdecken. – Ort: Atelier Turo Pedretti, Via Maistra 36.
« Les premières notes de la Sonate pour Arpeggione de Schubert résonnent, l’entraînant dans un tourbillon de souvenirs. Ils défilent à toute vitesse, telles les notes de l’allegretto, la plongeant dans une mélancolie qui lui fait oublier qu’elle veut écrire sur Vienne. » Die Künstlerin und Ethnologin Florica Marian (Les Diablerets/Riedtwil) bringt eine Erzählung aus Wien, wo sie bei Maria Lassnig studierte, als Mitbringsel zum Besuch beim Cellisten Kurt Hess im Fleckenstein-Chorhof des Stifts Beromünster. – Adresse: Stift 11, Beromünster.
«…zwischen den kriegen / tanzt noch alte hoffnung / auf versengten füssen / durch namenloses land», heisst es im zweisprachigen Band niemandsland – terre neutre der Lyrikerin Eva-Maria Berg (Waldkirch). Ebenfalls vom Tanz handelt das Stück The Dancing Room des amerikanischen Poeten und Dramaturgen Yehuda Hyman aus Brooklyn/New York. Nach der Aufführung vermittelt Graziella Jämsä (Schongau) eine spontane Reflexion zum Dargebotenen.
«Es wär nüt schad, we me di ganz Wält in e Glunggen use schuss, nei, bim Tönschtig wär es nüt me schad! D’Lüt si Chüeh, so wahr dass i Surgrabe-Michel heisse! Sie heuschen ein für alls, es ischt e Schang. Am Meimärit han i wellen e Lammeraue chaufe, aber was glaubit der, was hätt die sölle choschte? Feufhundertachzg Franken uf ei Chlapf u ke Batze minger! Ei Zyt hätt men es styfs Chuehli ubercho derfür, jo’s der Tausig hätt me. Vo de Rosse nume gar nid z’rede: Drüehalbtusig für-n-es halbwägs ordligs Piggerli – däwäg bschiesst alls Gäld nüt meh! … D’ihr cheut mir am Gätzi rätsche», klagt Simon Gfeller (†1943) in der Erzählung «Nei bim Tönschtig nid!» Andreas Bartlome (Herrlisberg) leiht ihm und Mundartautoren anderer Färbung seine Stimme. – Zum Frutigtütschen hatte die Dichterin Maria Lauber (†1973) eine enge Bindung. Ihr Gedicht Schnyje, enthalten im neu erschienenen vierten Band der Kulturgutstiftung Frutigland, gehört zu ihren schönsten und beginnt so: «Grauwa Tag. Der Wald wi tot. / U d Studi stahn
u schwüge.» Barbara Traber (Worb) hat es von bekannten Übersetzern in andere Sprachen übertragen lassen.– «La sira la mör via … / Adesso pizzum i lücerni: a tegnan cumpagnia. / Sem chi da guardia ai vacch / che viagian in di sögn.» Pino Bernasconi ist neben zahlreichen anderen Poeten aus der italienisch-sprachigen Schweiz in der Anthologie Dialètt che canta enthalten. Cornelia Masciadri präsentiert den Band und zeigt, dass zu den klangvollen Schweizer Dialekten unbedingt auch die Mundarten der südlichen Schweiz gehören. Roberto Bosia (Calpiogna) ist die dialektale Vielfalt des Tessins vertraut. – Über das Katholische in alten Sensler Sagen bis hin zu einem aktuellen Sensler Krimi weiss Christian Schmutz (Radio SRF) zu berichten. – Moderation: Christian Schmutz.
«Rencontre avec les artistes / Artist talk»: Eva-Maria Berg (Waldkirch) und Yehuda Hyman (Brooklyn) berichten über ihre fruchtbare literarisch-künstlerische Zusammenarbeit. – Treffpunkt: Hotel Hirschen.
«Forscher der ETH Zürich zählen den Golf von Neapel zu den Supervulkanen und wollen in einer Studie festgestellt haben, dass dieser Krater sich zunehmend mit Magma füllt, was in einer gewaltigen Eruption kulminieren werde. Diese Eruption sei allerdings kaum in den nächsten zwanzigtausend Jahren zu erwarten. Wissenschaftler des Osservatorio Vesuviano widersprechen und meinen, der Entgasungsdruck sei bald erreicht. Schlimmstenfalls löse der Ausbruch dieses Supervulkans einen Tsunami von über hundert Meter Höhe aus, der nicht nur die Küsten rund ums Mittelmeer zerstören, sondern auch weite Gebiete entlang der Rhone und die gesamte Oberrheinische Tiefebene überschwemmen werde. In diesem grösseren Kontext wäre eine weitere Explosion des Vesuvs, die ja auch jederzeit eintreffen könne, geradezu harmlos.» Neapel ist ohne den Vesuv kaum zu denken. Der Schriftsteller Franco Supino (Solothurn) widmete dieser Stadt den Roman Spurlos in Neapel. 1980 bebte dort die Erde – mit Folgen für den Lebensweg des Autors.
Ein digitales Abbild von Kunst gibt ein Werk nur oberflächlich wieder. Zum umfassenden Eindruck ist das Original unerlässlich. Die Ateliers von Turo und Giuliano Pedretti laden dazu ein, originale Kunstwerke in verschiedenen Medien in Ruhe zu studieren oder sie literarisch zu beschreiben. Papier und Stift stehen zur Verfügung.
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Eintritt: Fr. 15.- / Schweizer Mundartag Fr. 25.-
Die Programme September – Oktober – November erscheinen Ende des Vormonats.
Reservationen / Anfragen sind erbeten an: ulrich.suter.kultur@bluewin.ch
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Peter Halter Stiftung
Kulturkommission Hochdorf
Vereinigung Pro Heidegg
Historische Vereinigung Seetal